Einführung
von Achim Hoops, Professor an der HFBK HH
Liebe Besucherinnen und Besucher der Ausstellung,
Wenn man sich fragt, warum die Menschen Bilder machen - welchen Nutzen und welche Aufgabe Bilder eigentlich haben könnten - dann fallen einem zunächst zwei Gründe dafür ein. Der Hauptzweck ist wohl, dass Bilder uns etwas zeigen, was wir im Moment nicht sehen können. Sie stellen vor unsere Augen und damit in unsere Vorstellung, was eben gerade nicht da ist, sei es, weil es z. B. zu weit entfernt ist (wie im Reiseprospekt) oder auch weil es schon verschwunden ist (wie auf alten, historischen Fotos). Etwas ist nicht gegenwärtig, aber mit Hilfe der Bilder stellen wir uns vor, es sei da oder wir seien dort. So erweitern Bilder unser Wissen von der Welt. (Ich lasse das Problem einmal beiseite, dass auch Bilder lügen können - besonders im Reiseprospekt.)
Ein anderer Grund, warum man sich Bilder anschaut ist wohl, dass sie uns etwas besonders Schönes zeigen oder auch - wenn dieses Etwas in Wirklichkeit gar nicht so schön ist - es auf eine Art zeigen können, die wir als besonders schön empfinden. In diesem Falle bereichern die Bilder unser Gemüt und unser inneres Leben mit Empfindungen und Phantasien, etwa mit Vorstellungen von Harmonie und Ausgeglichenheit.
Wahrscheinlich die beliebtesten und verbreitetsten Bilder sind die, in welchen beide genannten Zwecke zusammenkommen. Das sind die Bilder, die uns etwas weit entferntes Schönes auf eine sehr schöne Art zeigen: z.B. einen blauen Himmel, einen Strand und Palmen. (Sie sehen: ich komme vom Beispiel „Reiseprospekt” nicht los.)
Nun gibt es aber ein eigenartiges Phänomen: sehr viele Menschen lieben besonders die Bilder, die etwas zeigen, was sie jeden Tag oder doch sehr häufig auch in Wirklichkeit vor Augen haben. Ich glaube, die meisten Gemälde von der Ostseesteilküste hängen in den Gebieten nahe der Ostsee und die höchste Dichte von gemalten Darstellungen der Nordseebrandung findet man in den Familien-Pensionen auf Sylt. Es ist natürlich einfach, sich darüber lustig zu machen, aber das wäre zu leicht. Diese Bilder leisten nämlich einen wertvollen Dienst. Indem jemand, der am Seeufer wohnt, nicht über seine Terrasse auf den See schaut, sondern sich stattdessen umdreht und die gleiche Aussicht im Gemälde über dem Sofa betrachtet - indem er dies tut, ignoriert er für einen kurzen Moment das vor seinem Fenster Vorhandene. Er tut so, als wäre es nicht wirklich da, sondern (nur) als Bild. Er wirft sozusagen einen neuen, sehnsuchtsvollen und schönheitssuchenden Blick auf das, was ihm in der Realität täglich zur Verfügung steht und führt sich dadurch dessen Wert (wieder) vor Augen. Dieser Umgang mit Bildern erweitert natürlich nicht das Wissen von der Welt, aber er leistet einen Beitrag für den Frieden im Gemüt - und wer wollte sagen, dass dies nichts wert sei.
Wenn Sie nun aber denken, das bisher Gesagte hätte irgendetwas mit den Bildern von Pia Hodel-Winiker zu tun, muss ich Sie leider enttäuschen. Keines von den Bildern, die wir hier sehen, erfüllt die erwähnten Aufgaben oder nützt für die genannten Zwecke.
Was ist auf den Bildern zu sehen? Sehr nüchtern gesagt: Ansichten der Stadt Hamburg, aus örtlichen Fenstern gesehen. Man sieht allerdings keine touristischen Sehenswürdigkeiten oder besondere Schönheiten der Stadt, welche einen Südseeinsulaner an seinem Palmenstrand zum träumen bringen könnten. Die Bilder schildern aber auch keine interessanten und wissenswerten Eigenarten des Lebens der hanseatischen Einwohner. Für Ortsfremde taugen sie also weder als Sehnsuchtsmotive noch als Information.
Leisten die Bilder dann einen Beitrag zur positiven Selbstvergewisserung von uns Hamburgern? Wieder: nein! Der Grund dafür ist - einmal abgesehen davon, dass auch der Hamburger sich lieber mit den Wahrzeichen seiner Stadt identifizieren würde - der eigentliche Grund dafür, dass Pia Hodel-Winikers Bilder nicht als „Hamburgensien” taugen, ist heikel, muss aber gesagt sein: für diesen Zweck sind die Bilder nicht schön genug. Oder besser gesagt: man kann die Bilder zwar mühelos und mit Genuss als schön empfinden, aber man spürt, dass sie nicht gemalt wurden, um schön zu sein. Warum dann?
Die Antwort ist einfach: die Bilder sind offensichtlich für keinen bestimmten Zweck gemalt worden, auch nicht um „nur schön” zu sein. Sie wurden um ihrer selbst willen gemalt, um des Malens willen. Wobei das Malen hier nicht vom Schauen zu trennen ist, sondern beides fast gleichbedeutend ist. Die Bilder sind Folge eines langen und aufmerksamen Hinsehens, sie sind sozusagen Ergebnisprotokolle eines Schauens, das von keinem wie auch immer gearteten Verwertungsinteresse geleitet ist. Folglich ist auch nicht so etwas wie eine beseelte oder beseeligende „Komposition” das Ziel, sei sie nun harmonisch oder auf „Spannungen” aufgebaut. Es geht ausschließlich darum, das Gesehene mit dem Gemalten in eine als richtig empfundene Korrespondenz zu bringen. Das Gemalte korrespondiert dann mit dem Gesehenen, wenn die Formen und Farben auf der Leinwand nicht gewissermaßen nur im geordneten Chor singen, sondern dabei - wie in Wirklichkeit auch - ihre Vielstimmigkeit bewahren. In den Bildern, die wir hier sehen, findet daher jede jeweils eigenartige Form und jede besondere Farbe eine Antwort und einen Kommentar in einer anderen Farbe, in einer anderen Form, die wiederum auch ihre jeweiligen Eigenarten behalten. (Das ist etwas ganz anderes als die sogenannte, womöglich „stimmungsvolle” Komposition eines Bildes.) Solche Korrespondenzen zu finden, zu erkennen und malerisch wiederzugeben ist die wahrscheinlich recht harte und zeitraubende Arbeit der Künstlerin, sie gefunden zu haben ist dann der schöne Lohn für die Mühe. Dass man dies alles beim Anschaün der Bilder nachvollziehen, fast schon miterleben kann, - das ist das Geschenk an die Betrachter.
Obwohl die Bilder unsere alltägliche Umgebung zeigen, sind sie nicht aus einer alltäglichen, zweckbestimmten Haltung heraus entstanden. Sieht man als das Gegenstück zum Alltag das Fest oder die Feier als freie und absichtslose Zeiten, dann zeigen diese Bilder einen Blick auf die Dinge, der sozusagen feierlich ist. Und was feiern die Bilder? Nicht das schöne Hamburg, nicht die Schönheit der Formen und Farben. Die Bilder feiern nichts anderes als die schöne Tatsache, dass wir sehen können und wie gut dies damit zusammenpasst, dass es etwas zu sehen gibt - wenn man hinschaut.
Ich wünsche eine schöne Eröffnungsfeier!