Stillleben ohne Blumen und Äpfel und stille Stadt

Die Arbeiten von Pia Hodel-Winiker zeichnen sich durch einen besonderen Blick aus – meist eine unerwartete Vergrößerung einer vertrauten, alltäglichen Welt. Dieses Fokussieren von Ausschnitten führt in manchen Bildern zu einer merklichen Entgegenständlichung, ohne dass freilich die abgebildete Wirklichkeit aufgegeben wird. Hierbei geht Pia Hodel-Winiker weniger mimetisch vor als sie die ihrer Alltagswelt entnommenen Gegenstände, Räume und Flächen im Bild selbst aufeinander beziehen läßt. Ein solches Heranzoomen über eine für das Auge eingeschulte Distanz hinaus provoziert ein neues Sehen von Schrankteilen, Parkettplanken oder Türrahmen, deren angestammte Formen sich durch den gewählten Ausschnitt auf schmale Streifen, Quadrate oder Dreiecke reduzieren. Dies geschieht meist am Bildrand, sodass dieser selbst auch Element einer dem Bild innewohnenden Form wird.

Andere Arbeiten – es handelt sich vorwiegend um Bilder der Jahre 2003-2005 – lassen die abgebildete Wirklichkeit (einen Sessel, einen Teppich oder eine Glastür, die in den Garten führt) direkter erkennen, doch auch hier widersetzt sich der gewählte Ausschnitt dem gewohnten Blick. Ins Bild gerät etwas scheinbar Nebensächliches – vergleichbar mit Photographien, deren Sujet durch eine unerwartete Handbewegung vom Rand zerschnitten wird, nur dass hier dieses „Verrücken” Resultat gezielter Beobachtung ist. Damit bekommt dieses Nebensächliche, das herkömmlicherweise nur als Hintergrund klassischer Stillleben dient, einen besonderen Wert. Es gerät in die Nähe des Symbolischen oder vielmehr Anthropomorphen. (Es ist offensichtlich, dass der Malerin Morandis Flaschen viel bedeuten.)

In manchen Arbeiten, die Zimmerfluchten zum Thema haben, oder das Draußen vor dem Glas einbeziehen, spiegelt sich wohl ein Gedanke des Architekten der „klassischen Moderne” Richard Neutra wider: das Auflösen der Grenzen zwischen Haus und Garten und die Erweiterung des Privaten. In diesen Bildern, die sich unmittelbar mit Neutras Architektur auseinandersetzen, ist zentral Licht gemalt, das von draußen eindringt, Gartenbüsche auf Türen und Wände wirft und diffuse Schatten produziert. Einer solchen Einstellung auf das Licht sind auch die differenzierenden Farbabstufungen dieser Phase geschuldet.

In den Bildern der darauf folgenden Jahre (ab 2007), die z.T. in Hamburger Treppenhäusern und Wohnzimmern, in der Speicherstadt und der 13. Etage des „Philturmes” mit Blick auf die darunterliegende Stadt entstanden sind, führt die Malerin eine bestimmte Anlage der Bilder der vorlaufenden Jahre aus. Ohne mit dem mimetischen Prinzip grundsätzlich zu brechen, verschiebt sich der Fokus von der Abbildung auf die Komposition. Zufällige Details der betrachteten Außenwelt werden bewußt weggelassen oder auf klare Formen reduziert, andere Elemente wiederum (z.B. ein rotes Buch oder ein grünes Garagentor) werden dem Bild hinzugestellt oder hinzugedacht. Damit beginnen sich Formen und Flächen bildintern intensiver aufeinander zu beziehen. Im gleichen Zuge verändert die Malerin die Farbgebung. Zum einen werden unifarbene Wände und Böden in ein schillerndes Farbensemble aufgespalten, das sich erst aus gebührender Distanz in eine Fläche auflöst. Zum andern geschieht die Auswahl des Sujets zentral auch aufgrund der zueinander gestellten Farbflächen, sodass sich Form- und Farbkomposition wechselseitig stützen und begründen. Es ist dieses Zusammengehen von Bildgestaltung und Abbildung das die nature morte und die Geometrie der Stadt zu einem verhaltenen Gegenstand der Kommunikation werden läßt.

Die meisten Arbeiten von Pia Hodel-Winiker sind als Serien entstanden. Zunächst waren es Landschaften, Porträts und Akte, schließlich Interieure, „sujetlose Stillleben” und urbane Architektur. Sie alle lassen dieselbe Tendenz erkennen: eine zunehmende Abstraktion von Bild zu Bild, die nicht auf einer vorgefassten Reduktion des Gegenstandes beruht, sondern vielmehr dem gewählten Ausschnitt selbst innewohnt und Resultat eines langwierigen Malprozesses ist.